Eröffnungsrede "Kirsten Klöckner - BeuteKunst I", Galerie Städtisches Museum Eisenhüttenstadt, 21.07.2012

 

Wir sehen in den Ausstellungsräumen insgesamt 14 Gemälde, die unter dem Titel „Beutekunst I“ ausgestellt sind. Diese Arbeiten sind natürlich nicht geklaut oder erbeutet. Vielmehr stammt das, was auf Ihnen zu sehen ist, von anderen Gemälden. Was soll das und darf eine Künstlerin das?

Es kam so: Vor gut einem Jahr unternahm Kirsten Klöckner einen Ausflug nach Beeskow, um sich mit mir gemeinsam das dortige Kunstarchiv anzusehen, in dem ca. 23.000 Kunstwerke aus der DDR lagern. Den Werken gemeinsam ist, daß es sich um Arbeiten handelt, die in öffentlichen Gebäuden, Ferienheimen und Parteizentralen gehangen haben. Mit diesem Bestand umzugehen war und ist nicht einfach, er ist für viele politisch zu belastet, einige sprechen den Werken gar völlig ab, Kunst zu sein. Weil sie aber Künstlerin ist, muss Kirsten das nicht unbedingt interessieren, sie kann ihren ganz eigenen Impulsen folgen, denn: „Weil sie Künstler sind, dürfen Künstler alles. So die Theorie.,“ (Kirsten Klöckner im Buch „Beutekunst“). Ich persönlich finde diese Narrenfreiheit meistens gut, denn ich habe schon immer etwas für Diven übrig gehabt. Die Künstlerin Kirsten Klöckner hat sich also erlaubt, die Gemälde in Beeskow unabhängig von ihrer ihnen innewohnenden Geschichte zu betrachten und ihre Inspiration daraus zu ziehen. Konkret bedeutet das – wie sie sehen werden – einzelne Motive zu entdecken, zu übernehmen und zu verwandeln.

 

Das Projekt Beutekunst ist letztlich Inspiration und Kommunikation. Mit der Tatsache, daß es Inspiration ist, haben Kirsten Klöckner und ich uns anfangs etwas schwer getan, denn die berühmte Inspiration ist ja beinah ähnlich belastet wie Beutekunst. Zur Inspiration: Nimmt man das Wort beim Schopf, bedeutet es aus dem lateinischen übersetzt lat.: inspiratio = Beseelung, Einhauchen von spiritus = Leben, Seele, Geist. Vielleicht sollte man nicht der Frage nachgehen, woher die geheimnisvolle künstlerische Inspiration kommt, sondern wer wem oder was Leben einhaucht. Warum erbeutet Kirsten Klöckner ausgerechnet ein bestimmtes Detail, warum ein eher nebensächliches Motiv und nicht das Hauptmotiv? Zunächst, weil sie nicht nachmalt, sondern weiterentwickelt, umdeutet, Neues schafft. Außerdem gibt es formale Gründe, denn nicht jedes Beutestück eignet sich zur Umsetzung in Kirstens abstrahierende Malweise.

Betrachten wir die wunderhübsche Kraftwerkerin. Sie ist im Bild von Horst Bahr das Hauptmotiv. Warum war es für ihn von Interesse, die Dame zu malen? Wir können nur Vermutungen anstellen. Bahr war vielleicht „beseelt“ von der Schönheit der Dame und setzte sie deshalb ins Bild, hauchte ihr Leben ein. Kirsten Klöckner wiederum war auch fasziniert von ihrer Schönheit, bewegt sich aber mit ihrer Malerei zwischen Figuration und Abstraktion. So könnte man in der Wahl des Helms statt der Kraftwerkerin einen rein formalen Grund sehen. Indem sie aber dem Attribut der Arbeiterin Leben einhaucht, verlässt sie die ursprüngliche Bedeutungsebene und verändert den Inhalt und die Aussage des Bildes. Auf einer weiteren Ebene belebt die Künstlerin letztlich die meist im Archiv lagernden Kunstwerke aus der DDR und verhilft ihnen zu einem Zeitsprung in die aktuelle Kunst.

Im Prinzip ist es unwichtig, woher die Inspiration kommt und was einen anstiftet. Es kann ein Gespräch sein ebenso wie ein Detail am Straßenrand auf dem Weg zur Arbeit oder eben bereits erschaffene Kunstwerke aus der DDR, völlig egal. Wenig oder vielleicht gar nichts in der Kunst ist heute vollkommen neu, es setzt sich zusammen aus schon gewesenem oder geht aus diesem hervor. Nicht immer zeigt sich dies offensichtlich, denn viele Künstler mögen es gar nicht, wenn man ihnen auf die Schliche kommt und etwas wiedererkennt, was schon dagewesen ist und so den Quell ihrer Inspiration entlarvt. Anders Kirsten: Sie bedient sich ganz offen schon existenter Gemälde für ihre eigene künstlerische Arbeit. Mehr noch, sie fühlt sich angesprochen von Bildern bzw. einzelnen Motiven, reagiert und zeigt uns diese Reaktion. Sie betreibt Kommunikation, ein Ausdruck, mit dem Kirstens Verlegerin Barbara Spahn ihre künstlerische Arbeit benannte. Kirsten Klöckner sagte selbst (zu den Gemälden aus der DDR): „Jetzt sah ich etwas vor mir, dass eine Reaktion forderte. Dabei war es unwichtig, ob mir persönlich das Bild gefiel. Aber es existierte und verlangte meine Reaktion.“

Vielleicht gehen Sie schon mal in Ausstellungen und fragen sich: Was soll das? Wo kann ich einen Zugang finden? Wer erklärt mir dies oder jenes? In der Ausstellung Beutekunst I bekommen Sie mögliche Antworten gleich mitgeliefert. Denn neben den entstandenen Gemälden sehen sie Fotos des Entstehungsprozesses: Das Ursprungsbild, das erbeutete Motiv und dessen Verwandlung. Das ist ein ganz besonderes Detail an Kirsten Klöckners Kunst: sie gibt die Hintergründe frei und macht daraus kein Geheimnis. Sie setzt auf Kommunikation in ihrem besten, ursprünglichen Sinn, und das ist eine Besonderheit, die paradoxerweise im Zeitalter von Kurznachrichten und facebook mehr und mehr abhanden kommt. Dabei nimmt sie uns Betrachtern nichts weg im Sinne von: die Künstlerin gibt uns vor, was wir denken sollen. Nein, sie gibt ihre Werke ebenso wie die Möglichkeit zur Kommunikation her und eröffnet damit neue Herangehensweisen. Sie gehört nicht zu den Vertreterinnen einer Kunstanschauung, bei der sich die Künstlerin völlig losgelöst von ihrem konzeptuellen Werk verstanden wissen will. Was uns hier angeboten wird ist eine Einladung und die feste Haltung einer Künstlerin, die einfach macht, weil sie anders nicht könnte oder wollte. Die sich bewusst ist, daß Menschen eines Außen im Sinne von Anregung und Austausch bedürfen und damit so weit geht, ihre Gedanken, Assoziationen, Inspiration in einem öffentlichen Blog im Internet mitzuteilen und in Dialog mit anderen zu treten. Aus diesem Blog macht sie dann auch noch ein Buch, in dem all das nachgelesen werden kann.