Porträts

 

Während Kirsten Klöckner bei „BeuteKunst I“ von Gemälden aus der DDR inspiriert wurde, Details entriss und neu umsetzte, sollten in der Serie „BeuteKunst II“ reale Personen als Inspirationsquelle genutzt werden. Mit manchen von ihnen war sie persönlich bekannt. Andere sind Menschen aus dem öffentlichen Leben mit einem gewissen Bekanntheitsgrad. Wie in der ersten Serie auch, läßt sie uns in diesem Buch am Entstehungsprozess durch Fotografien und Texte teilhaben.

Am Anfang des Projektes stand die Frage, wer Inspiration und Muse sein sollte. Einige wurden gefragt, ob sie einverstanden wären, wenn ein Bild von ihnen gefertigt würde. Das Ergebnis mit den dazugehörigen Fotos der Personen sollte in der Ausstellung in der Akademie der Künste, Berlin, gezeigt werden. Die Musen werden somit ins Licht der Öffentlichkeit gestellt. Einige Personen wurden auch ausgewählt, ohne das vorher abzusprechen. So ist das manchmal mit der Inspiration. Innerhalb eines Jahres entwickelte sich eine Werkserie von 12 mehrteiligen Aquarellen auf Leinwand. Die Dimension dessen, was Kirsten Klöckner geschaffen hat, war anfangs nicht abzusehen. So etwa, was mit den Menschen geschah, nachdem sie sich mit einem Bild einverstanden erklärt hatten und erst recht nicht was sie dachten, als sie dann das fertige Produkt sahen.

Der kleine Matteo hat sich aufgrund seines Alters von 2 Jahren vermutlich nichts weiter gedacht. Urszula kennt Kirsten Klöckners Arbeit gut und war daher vorbereitet. Frau Mössinger war verwundert, dass ihr Gesicht gar nicht zu erkennen ist. Falko wollte statt eines Gemäldes lieber eine riesige Skulptur von sich, die am besten mit einem Bein in Deutschland, mit dem anderen in Polen steht und die so groß ist, dass man sie vom Flugzeug aus erkennen kann. Vermutlich war das nicht ganz ernst gemeint, zeigt aber dennoch den geheimen Wunsch, anders oder besser dargestellt zu werden, als man ist. Die meisten porträtierten fühlten sich zunächst wahrscheinlich geschmeichelt, als Muse dienen zu dürfen. Vielleicht fragten sie sich aber auch: Warum denn ich? Was mag dabei herauskommen?

 

Eine Person, von der ein Bild gemalt werden soll, erwartet etwas, denkt oder hofft etwas. Zumindest hinterher fragt sie sich, warum dieser Aspekt und nicht ein anderer in den Vordergrund gerückt wurde. Es ist eine heikle Angelegenheit für Künstler, Bildnisse anzufertigen. Seitens der Dargestellten und der Betrachter ist der Anspruch hoch, denn schließlich will man mindestens die Ähnlichkeit zum Porträtierten feststellen können. Diese Frage nach der Ähnlichkeit mit dem Porträtierten spielte über Jahrhunderte eine wichtige Rolle. Sie änderte sich je nach Standpunkt und Stil. Sollte das Vorbild in aller Detailgenauigkeit „nach der Natur“ abgebildet oder umgekehrt das Naturvorbild dem gängigen Schönheitsideal unterworfen werden? Und wie setzt ein Künstler ein Porträt malerisch um, ohne dass es steif und langweilig wirkt? Es wird im folgenden nicht die gesamte Porträtgeschichte dargelegt, sondern einzelne Punkte herausgegriffen, um die Schwierigkeiten der Gattung Porträt zu erläutern. E.H. Gombrich bespricht italienische Meister des Quattrocento wie Masaccio, Mantegna oder Botticelli und stellt unter anderem fest: „Je genauer und gewissenhafter wir eine Gestalt, Einzelheit um Einzelheit und Strich um Strich, abmalen, desto weniger kann man sich schließlich vorstellen, dass sie jemals geatmet und sich bewegt hat.“1 Den Durchbruch auf dem Gebiet der Porträtmalerei schreibt er Leonardo da Vinci zu: „Aber erst Leonardo hat die endgültige Lösung des Problems gefunden. Der Künstler muss etwas dem Beschauer überlassen: Wir sind gewohnt, zu ergänzen, was wir nicht sehen, und gerade dieses Ergänzenmüssen erhöht den Eindruck der Lebendigkeit.“2

Diese Beobachtung bezieht sich auf da Vincis Malweise. Sein „Sfumato“, die verwischten Konturen und Farben, hatte es ihm möglich gemacht, Lebendigkeit in das Gesicht der Mona Lisa zu bringen. Neben der malerischen Umsetzung ging es vor allem um die Erwartungen der Auftraggeber an ein Bildnis. Die Kunstgeschichte kennt unzählige Anekdoten über Gemälde von mächtigen Herrschern, die von einem Künstler verlangten, ihre beste Seite oder die für die jeweilige politische Situation vorteilhafteste hervorzuheben. Den Mächtigen und Reichen war das Porträt auch lange Zeit vorbehalten. Erst im Zuge der Industrialisierung und dem damit verbunden Aufkommen des Bürgertums und der Arbeiterklasse und mit der „Autonomie der Kunst“ wurden auch einfache Leute porträtwürdig. Mit der Möglichkeit der Fotografie bot sich die Gelegenheit der exakten Abbildung des Vorbildes. Für die Malerei Anfang des 20. Jahrhunderts bedeutete dies eine Abwendung von der genauen Nachahmung und die Auflösung des Gegenstandes. Prominentes Beispiel sind Picassos „Demoiselles d' Avignon. Mit Gründung der DDR erfolgte dort eine erneute Hinwendung zur gegenständlichen Malerei. Erste Aufgabe der Kunst sollte, so der Wille der Staats- und Parteiführung, die Darstellung von Arbeitern sein, die nun die neue herrschende Klasse bildeten. Die Form sollte unbedingt dem Inhalt folgen, was in dem Fall figürliche Malerei bedeutete. Einfaches Verstehen des Bildes und dessen, was abgebildet war, sollte Priorität haben. Im Gegensatz dazu waren viele Künstler in der ehemaligen BRD der Abstraktion zugetan. Figuratives oder gar Auftragsarbeiten wurden lange Zeit eher abgelehnt und der Anspruch aufrecht erhalten, auf diese Weise allein der Kunst verpflichtet zu sein. So wurde die Porträtmalerei vor allem im Osten ausgeführt. Horst Bredekamp, der im vorliegenden Buch schon im Zusammenhang mit Fußball Erwähnung fand, stellte diesbezüglich auf der Tagung „Helden auf Zeit“ 2010 fest, dass sich nicht zuletzt aufgrund dieser Tatsache BRD-Kanzler von DDR-Künstlern porträtieren ließen. Die Indienstnahme der Kunst durch Politik ist besonders eng mit der Gattung Porträt verbunden.

Die Kanzlergalerie im Bundeskanzleramt, die ganz bewusst mit Adenauer als erstem Bundeskanzler die Reihe eröffnet, steht in Zusammenhang mit sogenannten Ahnengalerien von Adelsfamilien.3 Mit einer solchen Galerie soll auf eine Traditionslinie verwiesen werden, in welche die Dargestellten sich einreihen und auf die sie sich berufen und legitimieren. Im Falle der Kanzlergalerie sollte durch die Gemälde die „Kontinuität der Demokratie“ (H. Schmidt) sichtbar gemacht werden. Schmidt selbst vergab den Porträtauftrag 1986 an den in der DDR lebenden Künstler Bernhard Heisig. Helmut Kohl wählte dessen Schüler Albrecht Gehse.4 Erstaunlich, bedenkt man die Bedeutung, die Westpolitiker mit der Kanzlergalerie verbunden haben. Bredekamp fasste dieses Phänomen so zusammen: „Bevor die DDR unterging, war ihre Bildkunst zur Staatskunst der BRD geworden.“5

Kirsten Klöckner bricht mit allen beschriebenen Traditionen und Erwartungen an das Porträt. Sie malte nicht im Auftrag, ordnete sich keiner politischen Vorgabe unter und der größte Geniestreich ist, dass sie nicht einmal ein Gesicht auf die Leinwand bringt. Niemandes Gesicht ist zu erkennen, denn darum ging es der Künstlerin nicht. Klöckner stellt die Frage nach der äußeren Ähnlichkeit gar nicht. Die von ihr geschaffenen Bilder zeigen Dinge: Blumen, Krallen, Kölschgläser, Kartoffelschalen, Sterne, Ritterrüstung und Handtasche, einen Pandabär. Sie stehen stellvertretend für die einzelnen Aspekte der verschiedenen Persönlichkeiten, ebenso für ihre Handlungen oder Vorlieben. Lässt sich damit ein Porträt erschaffen und darf man das so nennen? Eine Kartoffelschale bleibt eine Kartoffelschale. In schillernden Farben auf ein Triptychon ausgebreitet, spiralförmig gedreht und begleitet von dicken, schwebenden Punkten wird sie eine besondere Kartoffelschale. Inspiriert wurde das Bild von Thilo Bock, einem Dichter und Sänger, der unter anderem ein Lied über die Kartoffel „Laura“ geschrieben hatte.

Die Gemälde werden durch Foto(s) der Muse und des Entstehungsprozesses begleitet. Damit erklärt Klöckner einen Teil ihrer Vorgehensweise. Sie verrät bewusst das „große Künstlergeheimnis“, wie etwas auf die Leinwand kommt und warum. Im Fall „Thilo“ wird eine Kartoffel gepellt um zu sehen, wie das aussieht. Welche Farbe sie hat. Was mit der Schale passiert. Sie wird zur Vorlage für das Bild. Schon ist man der Künstlerin auf den Leim gegangen. Zwar läßt sie die Beschauer teilhaben an der Entwicklung, auch über ein Blog und bei Facebook. Aber letztendlich ist die Schale auf dem Bild die einer rohen Kartoffel. Kirsten Klöckner bietet Kommunikation an über das, was sie tut. Das sagt aber gar nichts darüber, warum sie von allen Facetten einer Persönlichkeit gerade diese ausgewählt hat. Nur ein Teil des Künstlergeheimnisses wird verraten. Der Rest bleibt dem „Ergänzenmüssen“ überlassen. Das Porträt, welches am Ende dabei herauskommt, beschreibt vom Dargestellten einen Aspekt unter zig anderen. Gleichzeitig teilt Klöckners Arbeitsweise etwas über sie selbst mit. Ihr Drang nach Kommunikation und ihre unbändige Neugier sind in ihren Arbeiten enthalten. Ihre Porträts lassen offen, was sich noch alles in der Muse verbirgt und im Prinzip auch, um wen es sich handelt. Schön und hässlich sind keine Kategorien, ebenso wenig wie die reine Wiedergabe des Naturvorbildes. Durch Kirsten Klöckners Konzentration auf das Wesen einer Person und was diese in ihren Augen unter anderem ausmacht, befreit sie die Gattung Porträt aus ihrem viel zu engen Korsett.

 

1E.H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst, Berlin 2000, S. 300

2ebd., S. 301

3http://www.cicero.de/salon/deutschland-ohne-pomp-und-gloria/51207/seite/2, Stand 08.07.2013

4Gemälde der Vorgänger wurden nachträglich angekauft.

5Horst Bredekamp, Tagung Helden auf Zeit, 2010, Mitschrift der Verfasserin

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